Leseprobe – Eischrysanthemen

Die nächsten zwei Stunden versuchte Vincent etwas Brauchbares aus Kira herauszukitzeln, doch die Antworten des Schauspielers waren entweder spitz, oder kurz oder so provokant, dass Vincent sie nicht würde verwenden können. Ein ehrlicher Bericht würde Kira als einen arroganten Mann enttarnen, und das würden seine Fans bestimmt nicht auf ihm sitzen lassen. Außerdem war das sicherlich nicht das, was der Leser einer monatlichen Kulturzeitschrift von einem Künstler lesen wollte. Als miesen und neidischen Journalisten, der kein Gefühl für Künstlerseelen hat, würde man Vincent verdammen. Hinzu kam noch, dass der Alkoholkonsum, zu welchem Kira Vincent mehr oder minder drängte, sich langsam bemerkbar machte. Ihm war heiß, und es fiel ihm schwer, noch richtig zu schreiben. Seine ohnehin nicht sonderlich saubere Schrift wurde noch unleserlicher, und Vincents Sorge, ob er morgen noch etwas davon würde lesen können, wuchs immer mehr.
„Es ist ziemlich warm hier“, bemerkte Vincent nach einer weiteren Frage, deren Antwort ihm selbst so nichtssagend erschien, dass er sie nicht einmal mehr aufgeschrieben hatte. Vincent war müde geworden und hatte das Gefühl nicht voranzukommen. Dazu kam noch, dass er am Tag wenig gegessen hatte und der Alkohol darum umso heftiger anschlug.
„Oben gibt es einen Balkon, auf den wir gehen könnten“, schlug Kira vor und schob sein Glas fort, in dem noch immer etwas war. Zwar hatte auch er nachbestellt, aber Vincent war sich nicht ganz sicher, ob er genauso viel getrunken hatte, wie er selbst.
„Etwas frische Luft würde mir sicherlich gut tun. Tut mir leid, wegen der Umstände“, murmelte Vincent und versuchte seine Sachen zusammenzupacken, wobei ihm Kira dann überraschenderweise zur Hand ging.
„Danke, das ist nett.“
Nachdem die Unterlagen ihren Weg in Vincents Tasche gefunden hatten, rutschte Vincent vom Hocker. Kira ergriff seinen Arm. Sie gingen ein paar Schritte, und Vincent stellte mit leichter Verwunderung fest, dass Kira kräftiger sein musste, als er auf den ersten Blick erschien. Er schaffte es, Vincents schwankende Schritte auszugleichen und ihn zu den Fahrstühlen zu bringen. Warum sie nicht einfach nach draußen gingen und Vincent dort frische Luft schnappen konnte, konnte er nicht mehr fragen. Sie standen ohnehin schon im Lift, der nach oben fuhr.
Doch anstatt in dem Stockwerk mit der Bar und dem Aussichtsbalkon zu landen, steuerte Kira Vincent in einen simplen Hotelflur, der ganz und gar keine Kühle versprach. Hier war es sogar noch wärmer, und Vincents Schwindel nahm zu.
Unter Kiras Führung gelangten sie in ein hübsches Hotelzimmer, und obwohl Vincent nicht mehr den Blick für die Umgebung hatte, erkannte er, dass es zwei geräumige Zimmer waren. Ob es hier einen Balkon gab?
„Wo sind wir?“, erkundigte er sich schwankend. Die Tasche rutschte von seiner Schulter. Es war ihm egal. Hauptsache er konnte sich irgendwo hinsetzen! Mittlerweile war ihm klar geworden, dass er völlig betrunken war und er froh sein konnte, wenn er es bis nach Hause schaffte.
„Das ist mein Hotelzimmer“, informierte ihn Kira und brachte ihn nicht zu der Sitzgruppe, sondern in den Raum nebenan, bis Vincent sich endlich auf den Rand eines großen Bettes setzen konnte. Nein, man hatte bei der Unterkunft des Schauspielers wirklich nicht gespart, schoss es Vincent etwas wirr durch den Kopf.
„Warum?“, fragte er übermüdet, während ihm Kira sanft, aber dafür mit Nachdruck seinen Mantel von den Schultern zog.
„Es ist zu kalt draußen. Warum legen Sie sich nicht hin, bis es Ihnen besser geht?“ Kira klang seltsam geduldig.
So verkehrt war es sicherlich nicht sich hinzulegen, dachte Vincent. Nur für ein paar Augenblicke und dann, wenn es ihm wieder besser ging, würde er gehen können, in sein eigenes Bettchen, das auf ihn wartete und das ihm selten so verlockend vorgekommen war, wie in diesem Augenblick. Seufzend ließ er sich nach hinten schieben und streckte sich endlich auf dem bequemen Bett aus, ehe er doch noch einmal den Kopf hob und einen Blick nach unten warf. Warum öffnete Kira seine Schuhe?
„Sie sollen das Bett nicht schmutzig machen“, erklärte Kira ungefragt, aber Vincent war schon wieder alles egal. Er ließ den Kopf einfach zurückfallen und schloss die Augen. Nur ein wenig ausruhen und dann würde er gehen, sagte er sich und nickte fast augenblicklich ein.

Vincent kam erst wieder zu sich, als er einen kühlen Luftzug spürte. Kira saß neben ihm auf dem Bett und knöpfte ihm das Hemd auf. Erst realisierte Vincent gar nicht, was geschah, doch dann raffte er sich auf und legte seine Hand auf Kiras.
„Was ...?“ Weiter kam er gar nicht.
„Ohne das Hemd ist es viel bequemer, außerdem wird es nicht zerknittern“, flüsterte Kira und beugte sich leicht über ihn.
Vincent zwinkerte. In dem schummrigen Licht des Zimmers wirkte Kira fast unwirklich. Langsam streckte er die Hand nach ihm aus, berührte die blasse Wange, um sich zu vergewissern, dass da wirklich jemand war und er sich das alles nicht nur einbildete. Kira nahm Vincents Hand fort und hielt sie einen Moment fest, ehe er sie zurück auf Vincents Bauch legte.
„Lass mich dir das Hemd ausziehen“, fuhr er weiter mit sanfter Stimme fort, während Vincents Augen sich wieder schlossen.
Allerdings nicht für lang, denn er spürte, wie Kiras Hände sich auf seine Brust legten und das Hemd zur Seite schoben. Abermals griff Vincents Hand nach Kiras, und er wollte ihm Einhalt zu gebieten, die Berührungen erschienen ihm viel zu intim. Doch als er den Blick hob, sah er das schöne Gesicht vor sich, das ihn mit leicht hochgezogenen Augenbrauen anblickte.
„Mir geht’s ... schon besser ...“
Kira schüttelte nur den Kopf. „Nein, tut es nicht. Ich fühle dein Herz wie verrückt schlagen.“
Die Hand des anderen Mannes presste sich auf Vincents linke Brustseite.
„Nein ...“ Halbherzig versuchte er Kiras Hand abzuwehren.
„Doch. Ich höre es ja“, und als würde er es Vincent auf diese Weise beweisen wollen, neigte sich Kira ganz über ihn und einen Moment später fühlte Vincent weiche Strähnen auf seiner Haut sowie eine Wange, die sich gegen seine Brust drückte.
Er öffnete den Mund, doch kein Wort kam über seine Lippen, als er in Kiras Gesicht blickte. Er starrte in zwei schwarze Augen, die ihm nichts verrieten, und sah zu, fast wie in Zeitlupe, wie Kira den Kopf drehte und seine Lippen sich um seine Brustwarze schlossen. Vincent ließ sich zurückfallen, während sein Verstand kämpfte, um all das zu verbinden und zu einem klaren Bild zusammenzusetzen. Aber in seiner Welt gab es keine Erklärung für das, was geschah! Nichts von dem, was passierte, passte zu dem, was davor geschehen war! Leider fiel Vincent das Nachdenken auch deswegen schwer, weil Kira über seine Brust küsste.
„Jetzt müsstest du es doch auch spüren, oder?“ Kiras Körper schob sich an Vincent wieder hoch, bis sein Gesicht über Vincents war, so nah, dass er seinen Atem auf den eigenen Lippen spüren konnte.
„Ja“, krächzte Vincent heiser. Die Hand, die über seinen Bauch strich, brachte ihn aus der Fassung. Vincent musste Kira Einhalt gebieten und zwar auf der Stelle! Aber es war schwer, etwas aufzuhalten, was seinem Körper gefiel. Er hatte monatelang abstinent gelebt, sich fast ausschließlich mit seiner Arbeit und seinen Geldsorgen befasst. Jetzt schwemmte der Alkohol jegliche Hemmung fort, und Vincent empfand Dinge, die er einem Mann gegenüber nicht empfinden wollte. Aber je länger ihn Kira anblickte, sein Duft ihn umgab und er die exotischen Züge betrachtete, desto attraktiver fand er ihn. Ganz unabhängig davon, dass er noch nie etwas mit Männern hatte anfangen können.
Kira schien es zu spüren, denn über sein Gesicht huschte ein Lächeln, das Vincent nicht ganz einordnen konnte. Er hatte keine Zeit darüber nachzudenken, denn Kira beugte sich vor und presste seinen Mund gegen Vincents. Sobald Vincent den Mund öffnete, um zu protestieren, schlüpfte eine warme, vorwitzige Zunge zwischen seinen Lippen hindurch. Ihm entfuhr ein Stöhnen. Es hätte Missfallen sein müssen, doch ohne Vorwarnung war Kiras Hand in Vincents Schritt gerutscht.
Mühsam drückte er mit der freien Hand gegen Kiras Schulter, schon halb in Panik, dass Kira sich nicht wegschieben lassen würde. Aber Kira gab nach, zog den Kopf zurück, ohne das Gleiche mit der Hand zu tun. Vincent rang nach Atem. Er war ganz durcheinander. Zwiespältige Gefühle tobten in ihm, angeführt von ‚er ist ein Mann‘ bis zu ‚es fühlt sich ziemlich gut an‘. So konnte er keine passenden Worte finden.
„Wenn du nicht willst“, flüsterte Kira und rieb mit seiner Nasenspitze über Vincents Kinn, „dann sag es einfach.“ Abermals strich er mit seinen Lippen über Vincents geöffneten Mund. „Du musst nur sagen, dass du nicht willst, und ich höre sofort mit allem auf.“
Vincent schwieg.
„Also?“, fragte Kira gegen Vincents Lippen und streichelte weiter über seinen halbsteifen Schwanz. Die Zeit verging wie ein zäher Klumpen Honig und Kiras Lächeln wurde breiter.
„Dann also kein nein“, hauchte er sinnlich und küsste Vincent wieder.

Überzeugt?

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