Leseprobe – Yakuza Flowers

Schwindel erfasste Gabriel, der sich unweigerlich fragte, ob das seine letzten Augenblicke waren, bevor ihn Hikaru umbringen würde. Bis jetzt hatte er sich keine Gedanken darüber gemacht, was mit Menschen geschah, die dem Clan gefährlich werden konnten. Jetzt wurde ihm bewusst, dass solche Leute wohl für immer von der Bildfläche verschwanden. Aber würde es Jiro soweit kommen lassen? Im Moment war er nicht einmal da und Gabriel fühlte sich ausgeliefert.

„Bist du gekommen, nur um mir das zu sagen?“ Gabriels Stimme war tonlos geworden und er konnte die Anspannung, die ihn gepackt hielt, nicht mehr verbergen. Eine Morddrohung hätte so ziemlich jeden nervös gemacht, doch für Gabriel war das kein Trost.

Hikaru ließ sich mit der Antwort Zeit und wog den Kopf, als würde er eine Entscheidung abwägen.

„Nein, nicht nur“, gestand er schließlich. „Noch gehörst du zu Jiro und dir droht nichts Schlechtes. Aber ich fand, dass du wissen solltest, dass Jiros Position nicht für immer so stabil bleiben wird, wie sie es jetzt ist. Irgendwann wird sie ins Wanken geraten und du solltest dir vielleicht schon jetzt ein paar Gedanken darüber machen, was mit dir geschehen wird.“ Mit diesen Worten setzte sich Hikaru neben Gabriel auf die Couch. Alles, was er sagte kratzte an Gabriels Seele, vergrößerte die Unsicherheit, die er über Wochen hinweg so gut von sich geschoben hatte. Er presste die Lippen aufeinander und versuchte entschlossen zu wirken.

„Ich sehe keinen Grund, warum ich mir schon jetzt darüber Gedanken machen sollte. Noch ist Jiro bei mir und ganz einerlei, wie es sich für ihn entwickeln sollte, gedenke ich nicht ihn zu verlassen.“ Gabriel versuchte das Gespräch an sich zu reißen und seine Sicherheit wieder zu gewinnen. Doch es fiel ihm schwer, Hikarus Worte nicht an sich rankommen zu lassen. Er wusste nicht einmal, von was Hikaru redete! Jiro hatte mit keinem einzigen Wort erwähnt, dass er Probleme hatte! Auf der anderen Seite musste Gabriel auch zugeben, dass Jiro nicht zu ihm gekommen wäre, falls er denn welche hätte. Aber wäre es ihm entgangen, wenn Jiro in Schwierigkeiten stecken würde? Nein, ganz sicher nicht! Von Hikaru kam ein unangenehmes Lachen.

„So naiv kannst du doch gar nicht sein. Hast du dir keine Sekunde darüber Gedanken gemacht, was zum Beispiel mit dir passiert, wenn Jiro schon jetzt das Interesse an dir verlieren würde?“ Das saß. Gabriel biss sich auf die Unterlippe, während Hikaru nachlegte. „Ein Callboy ist auf Dauer eben nicht sonderlich unterhaltsam. Aber darin solltest du deine Erfahrungen schon gemacht haben.“

Woher wusste Hikaru nur, dass Gabriel ein Callboy war? Jiro und Gabriel waren übereingekommen, zu verheimlichen, wer Gabriel genau war und was für einen Job er in London gehabt hatte. Die drei Leibwächter, die Jiro nach London begleitet hatten, waren loyale Leute und hatten ganz sicher nichts verraten. Woher wusste Hikaru also, als was Gabriel gearbeitet hatte? Zu spät bemerkte er, dass er sich selbst verriet. Hikarus schallendes Lachen ging ihm durch Mark und Bein, bis Gabriel die Lippen aufeinander presste.

„Es ist also wirklich wahr. Ich wollte es nicht glauben, als mir das Gerücht zu Ohren kam. Alleine die Vorstellung, dass Jiro sich einen Callboy mitgebracht hatte, erschien mir lächerlich. Als wenn es hier nicht genug Prostituierte gäbe.“ Hikaru tat, als müsse er sich Lachtränen aus den Augenwinkeln wischen. „Verübeln kann ich es ihm jedoch nicht, dass er dich mitgenommen hat. Du bist wirklich anziehend und hast alle Vorzüge, um auch hier gut ins Geschäft zu kommen.“ Der offene Hinweis auf Gabriels Attraktivität, ließ Gabriel nicht sicherer werden. Der Schlag von vorhin hatte einfach zu gut gesessen. Dennoch wollte er klar stellen, dass er nicht nach Japan gekommen war, um seinem Gewerbe nachzugehen.

„Ich bin kein Callboy mehr.“ Zwar nahm er von Jiro kein Geld, aber auf der anderen Seite konnte er auch nicht abstreiten, dass Jiro für jede noch so kleine Ausgabe aufkam. Hikaru schienen Gabriels Worte nicht zu interessieren.

„Nicht offiziell vielleicht, aber wo liegt da schon der Unterschied? Sobald du langweilig geworden bist und er noch immer nicht von seinem hohen Ross gefallen ist, wird er dich vor die Tür setzen. Dann bist du ganz alleine hier. Ohne Freunde oder jemanden, dem du vertrauen kannst.“ Hikaru griff nach Gabriels Kinn, damit dieser den Kopf nicht wegdrehen konnte. Die Worte nagten an Gabriel und ließen ihn leicht schaudern.

„Fragst du dich gerade, ob ich dich anlüge?“ Hikaru umgriff Gabriels Kinn fester, damit Gabriel den Kopf nicht mit einem Ruck fortziehen konnte. „Ich habe keinen Grund zu lügen. Du brauchst Jiro nur zu fragen, oder einen der Leibwächter, um zu erfahren, wie er mit abgelegten Liebhabern verfährt.“

Darüber hatte sich Gabriel keine Gedanken gemacht. Das Haus gehörte dem Clan und Jiro, als rechte Hand des Bosses, hatte eine Menge Leibwächter. Seine Liebhaber waren damit offene Geheimnisse und hatten sich diskret zu verhalten. Hikaru wusste genauso gut wie Gabriel, dass in diesem Punkt eine Lüge nichts gebracht hätte.

„Was willst du machen, wenn er dich fallen lässt? Zurück nach London gehen und deinen alten Job wieder aufnehmen?“

Genau diese Frage war es, die Gabriel wieder aufleben ließ. Er stieß Hikarus Hand heftig fort, selbst wenn seine Finger einen Kratzer auf seinem Kinn hinterließen.

„Das sollte nicht deine Sache sein“, fauchte er ihn an und erhob sich. „Ich komme auch gut alleine klar, falls mich Jiro irgendwann nicht mehr haben will.“ Die Frechheit, dass sich jemand in sein Leben einmischen wollte, ließ ihn wieder selbstbewusst werden. Wahrscheinlich würde die Sorge, die Hikaru in sein Herz gepflanzt hatte, später wieder auftauchen, aber jetzt wollte er sich davon nicht beherrschen lassen. Jiro und er konnten eine Zukunft haben. Zwar hatte Gabriel, seit sie in Tokyo waren, auch Jiros harte Seite kennengelernt, aber nie gegen sich selbst. Er konnte nicht abstreiten, dass die Gnadenlosigkeit, mit der Jiro seine Interessen verfolgte ihn erschreckte. Dabei war ihm klar, dass Jiro das meiste weitestgehend vor ihm zu verbergen suchte.

Es gab einfach Dinge, über die sie nicht sprachen. Gabriel hatte gedacht, dass die Zuneigung, die er von seinem Liebhaber bekam, reichen würde, um über alles andere hinweg zu sehen. Doch die Wahrheit war, dass er es nicht für immer können würde. Es gab so einige Gesichtspunkte, die ihn erschreckten und ihm Angst machten, wenn auch nicht so sehr, um Jiro verlassen zu wollen oder zu können. Die irrationalen Gefühle der Liebe hielten ihn an diesen gefährlichen Mann gefesselt, der ihn sehr leicht in den Abgrund ziehen konnte.

All diese negativen Dinge vorgesetzt zu bekommen war unschön. Gabriel war verwirrt und das Letzte, was er wollte, war, seine Irritation Hikaru gegenüber zu zeigen. Der saß Gabriel ohnehin viel zu nah. Es war besser das Gespräch zu beenden.

„Ich denke, es wäre besser wenn du jetzt gehst.“ Gabriel wollte nur noch alleine sein. Als er sich erhob, packte ihn Hikaru plötzlich am Arm und zog ihn mit einem Ruck auf die Couch zurück.

„Das denke ich nicht.“ Jegliche Gelassenheit war aus Hikarus Stimme verflogen. Er zwang Gabriel auf den Rücken, um sich über ihn zu schieben. Auf diesen Angriff war Gabriel nicht vorbereitet gewesen, aber er versuchte sich augenblicklich zu befreien. Leider ließ sich Hikarus Gewicht nicht einfach so fort schieben. Er hielt Gabriels Hände wie im Schraubstock über dem Kopf fest. „Lass mich sehen, ob du es überhaupt wert bist, dass ich dich nach Jiro nehme“, hörte Gabriel ihn zischen und drehte den Kopf weg, um einem ungewollten Kuss zu entkommen.

„Du verdammter Bastard!“ Gabriel fauchte und bäumte sich auf, um Hikaru von sich runter zu stoßen.

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